Im November 2016 durfte ich im Zusammenhang mit dem Filmfestival Cottbus „Rockin Rooster meets Hula Lady“ vorstellen. In der Galerie Fango traf ich dann Daniel Ebert, Redakteur von dem lokalen Kulturratgeber Blicklicht. Wir unterhielten uns ein wenig und daraus ist der folgende Text entstanden welcher in der Dezemberausgabe gedruckt wurde.
Überhaupt hatte ich meine Woche in Cottbus ziemlich genossen. Einen Abend waren wir im Seitensprung und hatten 31 Freispiele am Flipperautomaten, zudem konnte ich die ganze Zeit meine Zeichnungen auf dem Covern der Blicklicht sehen, Jump Chicken, Frederico Rosetti und die beiden Helden meines Comics- alle hatten sich dort raufgeschmuggelt! Dann war ich noch im Tagebau Cottbus Nord auf der Suche nach Kohle und konnte die ganze Zeit während des Festivals Filme kucken- ganz groß! Am Ende war ich dann aber ein wenig angeschlagen, weil eine Woche Filme kucken, Feiern und wenig Schlaf macht sich auch bemerkbar.
Trotzdem riesen Dank an die Blicklichtleute, allen voran Daniel für den interessanten Text, natürlich an die Galerie Fango und ihre engagierten Mitstreiterinnen, den Spätijungs vom Cotti und alle die ich während meiner Zeit dort kennenlernen durfte, war eine gute Zeit mit euch!
Rockin Rooster meets Hulalady
Ernst Niemand bis 03. Dezember in der Galerie Fango
Der Künstler Ernst Niemand ist viel unterwegs gewesen, auf der Straße, in Ländern, in Städten – in Ostdeutschland und Osteuropa. Überall wo er unterwegs ist, saugt er die Umgebung auf, schaut, redet, erlebt, fotografiert und sammelt Ansichten, Details und Eindrücke. 2015 ist er in der Ukraine unterwegs, gibt Comic-Kurse für Kinder, stellt an alternativen Kunstorten aus und erlebt die bizarre Absurdität des gespaltenen Landes hautnah. Dort, wo die außerirdischen, „grünen Männchen“, wie die Paramilitärs genannt werden, über Nacht auftauchen und das Stadtbild verändern. Es wird so getan, als wüsste man nicht, dass diese Aliens eigentlich aus Russland kommen und nicht vom Mars, doch auch wenn hinter den Tarnanzügen Menschen sind, bleiben sie surreale Wesen – „grüne Männchen“. Auf einmal stehen sie überall, schwer bewaffnete Männer an der Straßenecke, in den Einkaufspassagen, doch die Bewohner leben weiter – was sollen sie auch tun. Sie leben, lieben, feiern und sie tanzen wahnsinnig gerne – auch in den Einkaufspassagen, die in der Ukraine (wie in vielen anderen Ländern auch) nicht nur zum Einkaufen, sondern verstärkt zum „Socializing“ dienen. Eines Tages tanzen sie in einem Einkaufszentrum und für einen Moment tanzen alle mit – Wachmänner, die grünen Männchen, Passanten. Ernst Niemand saugt die Szenerie auf und spinnt die Situation weiter zu einem Comic. Das Leben könnte so schön sein, in der Bewegung des Tanzes, in einer Choreografie der Freude, im Rhythmus des Lebens. Doch Bewegung heißt auch immer Veränderung und Reibung und schnell auch Konflikt zwischen alt und neu, rechts und links, die und wir. Die Bewegung, die Veränderung, den Clash hält Ernst Niemand in seinem ersten Comicband fest, der ohne Sprechblasen auskommt. Als seine Oma den Comic sah, sagte Sie „da braucht man ja ganz schön viel Phantasie!“ Sie meinte wahrscheinlich die Phantasie des Autors, aber auch der Leser braucht Phantasie, um die Geschichte ohne Sprechblasen zu deuten und zu lesen. Darin liegt der Vorteil eines Silent Comics. Die Bilder überlassen dem Leser viel Interpretationsfreiheit. Bevor ich hörte, dass die Bilder des Comics Aufnahmen aus der Realität entstammen, dachte ich zum Beispiel, dass alles (vor allem die Tanzszenen) Traumsequenzen darstellen sollen.
Die Bilder sind schwarz-weiß in starkem Kontrast gehalten, so wie die Realität in der Ukraine zwischen Europa und Russland, zwischen der sozialistischen Vergangenheit und der kapitalistischen Gegenwart. Oftmals sind die Bilder wuselig wie die Verhältnisse in der Ukraine – manchmal muss man öfters hingucken, um zu verstehen, was da alles passiert. Doch vor allem sprühen die Bilder voll lebensfroher Dynamik, so wie die Leute vor Ort, die nicht trotz, sondern gerade auf Grund der Umstände das Leben, die Liebe und den Tanz zelebrieren.
Einige Panels erinnern an die Höhlenmalerei der südfranzösischen Chauvet-Höhle, die bereits vor 30.000 Jahren Bewegungsabläufe in Bild-in-Bild Zeichnungen darstellen. Diese ältesten Artefakte, die wir überhaupt kennen, kann man als Urzeit-Silent-Comics lesen. Neusten Theorien zufolge wird die Höhlenmalerei auch als Urzeit-Kino bezeichnet, da die Abbildungen durch das Wackeln des Höhlenfeuers geradezu bewegt aussehen. Diese Bild-in-Bild Bewegungsabläufe sind auch von den Kubisten bekannt wie bei Marcel Duchamps „Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2“ – dessen Werk anfangs von den Kubisten abgelehnt wurde, da sie es als Verspottung wahrnahmen. Hier zeigt sich mal wieder die weite Interpretationsfreiheit. Auch Comics und Silent Comics werden in Deutschland, wie Marcel Duchamps Akt auf der Treppe, nicht ernst genommen und haben nicht den Stellenwert der Hochkultur (wie in Belgien oder Frankreich). Daher freut es umso mehr, dass die Galerie Fango daran arbeitet und einzelne Panels eines gelungenen Silent Comics ausstellt, die Kunstdrucke zum Ausstellungsende auch verkauft, sowie das gesamte Comic, welches in Handnummerierter Kleinauflage von 100 Stück editiert wurde. Wer es nicht mehr bis zum 03. Dezember in die Fango schafft, der kann sich auch Online über den Künstler informieren auf seiner Homepage modern-war-jetzt.net – es lohnt sich! (Text: Daniel Ebert)